Auszug aus meiner Autobiographie "Rückblicke":

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Wirken in Westfalen

 



Jugendfürsorger bei der Inneren Mission in Dortmund

Fiete Jahnke ruft mich eines Tages an, um mir eine Stelle als Jugendfürsorger beim Kirchlichen Gemeindedienst für Innere Mission in Dortmund mit Inaussichtstellung einer Dienstwohnung anzubieten. Gottfried Scheer, Rauhäusler Diakon, der dort als Geschäftsführer tätig ist, hat offenbar seinen Chef, Dr. Schmidt, darauf gebracht, am 3.4.1959 beim Rauhen Haus nach einem geeigneten Fürsorger anzufragen. Jahnke weiß, dass meine Braut aus dem Ruhrgebiet kommt, dass wir eine Wohnung brauchen und will mich für den Dienst in der Kirche zurückgewinnen. Am 25.4.1959 schreibt das Rauhe Haus nach Dortmund:

„........ es handelt sich bei R. um einen hochbegabten Mann, der im Augenblick Dienst bei der Stadt Hamburg tut, aber lieber bei der Kirche arbeiten würde ......“

Diese Stelle interessiert mich dann doch sehr und ich bewerbe mich erfolgreich.

Vom 8. Juli 1959 bis zum 31. März 1963 bin ich bei der Inneren Mission in Dortmund mit großem Engagement als Jugendfürsorger und Diakon tätig. Mein Bruttoverdienst von 540,- DM erscheint mir recht hoch. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, so „viel“ Geld bei der Kirche zu verdienen und will dafür auch fleißig arbeiten. Auf einen pünktlichen Feierabend habe ich daher weder damals noch später - zum Leidwesen meiner Frau - jemals geachtet und Überstunden niemals bezahlt bekommen. Volles berufliches Engagement gehört für mich immer zum Diakonsein dazu. Die neue Dienstwohnung im ersten Stock meiner Dienststelle hat Zentralheizung und ein Badezimmer und kostet uns nur 60,- DM Miete monatlich. Über uns im Hause wohnt Dr. Heinrich Schmidt, der Dienststellenleiter, von Hause aus Jurist, ein fähiger Mann, den ich sehr schätze. Er war als Halbjude und in der Nazizeit diskriminiert und als Kurier aktiver Mitarbeiter der Bekennenden Kirche. An die Dienstwohnung geknüpft ist meine Aufgabe, mich nach Feierabend und am Wochenende um die Stadtstreicher zu kümmern, die recht häufig auch noch spät abends an der Tür klingeln und um Hilfe nachsuchen. So manches Schmalzbrot wird vom eigenen Wirtschaftsgeld dafür abgezwackt. Außerdem habe ich die Koksfeuerung der Zentralheizung zu bedienen, wenn der Hausmeister Urlaub hat oder wegen Krankheit ausfällt. Unsere Wohnung ist zunächst nur dürftig mit einigen wenigen alten Möbeln eingerichtet. Die alten Sperrmüllmöbel entwickeln sich allmählich durch den Anschauungswandel zu wertvollen Antikmöbeln. „Jaffa“-Möbel (Apfelsinenkisten) springen in die Lücke. Als Radiogerät dient eine alte „Goebbelsschnauze“. Unter unserer Wohnung übt wöchentlich ein Posaunenchor. Daneben befinden sich die Büroräume der Fürsorgerinnen und anderen Kollegen. Am Hause vorbei rattern mehrere Straßenbahnlinien und starker Autoverkehr über Dortmunds Hauptgeschäftsstraße. Hinter dem Hause hören wir die Lautsprecher-Zugansagen des Hauptbahnhofs. Ganz in der Nähe befindet sich die Dortmunder Union-Brauerei. Fast täglich kommt ein Schwall vergorenen Gerstensuds zu uns herübergeweht. Wenn die Hochöfen und Kokereien ihren gelbbraunen Qualm abblasen, ist der Dortmunder Himmel rötlich-braun staubverhangen. Allenthalben sieht man im Stadtgebiet neben den Zechen, die es noch in großer Zahl gibt, riesige Kokshalden. Fast alle Häuser in Dortmund und Umgebung sind grauschwarz verrußt. Auf unseren Fensterbänken liegt täglich neu eine dicke schwarze Rußschicht. Lärm- und schmutzhemmende Termopaneverglasung gibt es noch nicht. Die Worte „Umweltsünden“ und „Umweltschutz“ sind auch noch nicht erfunden. Man ist froh, dass die Wirtschaft nach dem Kriege wieder floriert, vieles schon wieder aufgebaut ist und jeder Arbeit hat. Arbeitslosigkeit ist ein Wort, das man nur aus den 20er und 30er Jahren und der unmittelbaren Nachkriegszeit in Erinnerung hat. Es herrscht Vollbeschäftigung und nach und nach sogar Arbeitskräftemangel.

In Nordrhein-Westfalen werden, bedingt durch die starke Stellung der katholischen Kirche, in vielen Kommunen die Pflichtaufgaben des Jugendamtes von den Freien Wohlfahrtsverbänden nach dem Subsidiaritätsprinzip in Delegation durchgeführt. Zusammen mit drei weiteren Kollegen habe ich mich um die männlichen Jugendlichen ab 14 Jahren zu kümmern. Wir teilen uns das Dortmunder Stadtgebiet auf und ich betreue in dem Bezirk südlich und östlich der Stadtmitte vom Hellweg bis zur Syburg und von Barop bis Sölde mit Hombruch, Aplerbeck, Asseln und Brackel junge Bergarbeiter, Stahlwerker, Bierbrauer, Hilfsarbeiter und Schüler, die auf die schiefe Bahn zu geraten drohen. Die im Jugendwohlfahrtsgesetzt vorgesehenen „Erziehungsmittel“ der ambulanten vorbeugenden und nachgehenden Hilfe, der „Freiwilligen Erziehungshilfe“, „Fürsorgeerziehung“, die Stellungnahmen zu Volljährigkeits- und Ehemündigkeitsanträgen bei noch nicht 21jährigen heiratswilligen Vätern bei damals noch weit verbreiteten „Mussehen“ und die Jugendgerichtshilfe für straffällig gewordene Jugendliche bilden mit Gesprächen, Hausbesuchen, Schreiben von Berichten und Wahrnehmung vieler Jugendgerichtstermine meine Arbeitsschwerpunkte. Manchen „Knaben“, der die Schule oder die Arbeit schwänzt, hole ich bereits am frühen Morgen aus dem Bett. Viele Hausbesuche führe ich abends durch, wenn die Leute anzutreffen sind. Meine Berichte - natürlich auch die der anderen Kolleginnen und Kollegen - werden immer vom Dienststellenleiter Dr. Schmidt selber unterschrieben. Hin und wieder fordert er eine inhaltliche oder orthographische Korrektur von mir. Meistens gehen meine Schreiben aber mit seinem Einverständnis glatt heraus. Im Jugendamt oder bei anderen Behörden erkennt man die Verfasser jedoch immer am Diktatzeichen. Mit dem Kollegen Schwiderski, Diakon des Stephansstiftes, teile ich mir einen kleinen Büroraum mit Schreibtisch und Telefon. Wenn wir beide gleichzeitig anwesend sind, ist es nicht immer einfach, ungestört intime Gespräche mit Klienten zu führen. Mit zum Team gehört noch ein Kollege Schickentanz. Wir arbeiten harmonisch zusammen. Diese Tätigkeit macht mir viel Spaß. Von erfahrenen älteren Fürsorgern nehme ich gerne Ratschläge an. Kollege Birkholz, der sich tagsüber um die Tippelbrüder zu kümmern hat, meint, wenn jemand vom flachen Lande komme und offen gestehe, er sei im Vergnügungsviertel Dortmunds versumpft, so könne man ihm schon mal vertrauen und eine gestundete Fahrkarte für die Heimreise durch die Bahnhofsmission ausstellen lassen. Diese Leute würden das verauslagte Geld nach seiner Erfahrung immer zurück überweisen. Da kommt dann am Wochenende ein „Viehhändler“ aus Süddeutschland, der mit seinen beiden Helfern in der Herbertstraße versackt sein will. Ich lasse auf Kosten der Dienststelle drei Fahrkarten ausstellen. Statt der Rückerstattung der Kosten kommt ein Anruf der Kripo: Die Stundungsstempel auf der Rückseite der Fahrkarten sind sehr geschickt beseitigt und die Tickets bargeldbringend weiterverkauft worden. So mache ich meine Berufserfahrungen und bin fortan noch vorsichtiger bei derlei Hilfeanliegen. - Ich versuche mich mit einer Freizeitgruppe für gefährdete Jugendliche. Später gestalte ich Freizeitaktivitäten und Unterricht im Anfangsvollzug der Jugendstrafanstalt Dortmund. Einer meiner spektakulärsten Jugendgerichtshilfefälle: Ein gerade eben strafmündiger jugendlicher serienmäßiger Autoknacker, der schon in frühen Kindertagen, als er sich noch seinen Schultornister unter den Hintern legen musste, um durch die Windschutzscheibe schauen zu können, war um einer Beute von 50 Mark willen zum Mörder eines Tankwarts geworden. Er entstammte einer Vergewaltigung seiner Mutter durch einen Russen bei Kriegsende. -

Im Sommer 1962 leite ich im Auftrage der Inneren Mission Dortmunds eine Erholungsfreizeit mit 14- bis 18jährigen Dortmunder Jugendlichen im Evangelischen Jugenderholungsdorf in St. Peter-Ording auf der Halbinsel Eiderstedt an der Nordsee, meine erste Begegnung mit St. Peter, die sich bis in heutige Tage hinein auswirkt.

Am Anfang mache ich meine Hausbesuche in Dortmund per Fahrrad oder Straßenbahn. Dann schenkt mir ein Vetter sein Moped, weil er sich ein Auto leisten kann. Mit diesem neuen, für mich sehr komfortablen, Verkehrsmittel bin ich dienstlich und gelegentlich auch privat bis weit über Dortmunds Stadtgrenzen hinaus recht mobil. Auch für die Dienstfahrten bestreite ich die Spritkosten aus eigener Tasche.

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Im sehr aktiven Verband Rheinland-Westfalen der Rauhhäusler Brüderschaft, den Franz Großkopf in Unna als Verbandsältester leitet, finden wir liebevolle Aufnahme und volle Geborgenheit. Karlheinz Franke und Frau Ilse, damals Leiter eines Lehrlingsheimes in Schwelm und Siegfried Strathmeier, Suchtkrankenfürsorger in Herford, gehören aus meiner Klasse zum Verband. Wir besuchen uns oft gegenseitig. Auch zu Paul Hatje, Hausvater eines Altenheimes in Dortmund-Hombruch, Hermann Geiß, Hausvater des Kinderheimes in Hamm, Willi Luhn, Leiter eines Altenheimes in Schwelm, sowie zum Pensionär Bernhard Sauer und einigen Brüderwitwen haben wir guten Kontakt. An Geburtstagen der Brüder gehört unangemeldeter Besuch zur Selbstverständlichkeit. In Bausenhagen treffen wir beim Verbandstreffen auch die Brüder Kurt Gubler, Alfred Powierski und Manfred Bossow wieder. Es ist die Zeit intensivster brüderschaftlicher Kontakte, die ich je erlebt habe.

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Beim verbandstreffen in Bausenhagen

Links: Manfred Bossow - Mitte: Siegfried Strathmeier - Vordergrund rechts: Webmaster Jürgen Ruszkowski

 

Am 4. Oktober 1961 werde ich in der Kirche in Hamburg-Hamm durch Propst Wolfgang Prehn feierlich zum Diakon eingesegnet. Das Einsegnungsgelöbnis:

„1. Seid Ihr gewillt, in allem Denken und Handeln die diakonische Grundhaltung zu bewahren, 2. seid Ihr gewillt, jedes Euch anvertraute Amt treu zu verwalten und den Euch anbefohlenen Menschen mit Liebe und Hingabe zu dienen, barmherzige Freunde der Armen und Kranken, der Verlorenen und Leidenden zu sein, in der Liebe, die Jesus Euch darbietet, und wollt Ihr in Wort und Wandel in der Liebe und im Glauben ein Vorbild sein, 3. wollt Ihr auch zur Leitung Eures Brüderhauses, das Euch nun als vollberechtigte Brüder aufnimmt, stets in Ehrerbietung und Treue stehen und in allen Dingen für Euer Brüderhaus eintreten? - Zur Bekräftigung, daß das Eures Herzens redlicher Wille ist, gelobt mir in meine Hand durch Euer Ja, mit Gottes Hilfe.“

Vorher haben wir auf der Heideburg in Hamburg-Hausbruch eine Vorbereitungsfreizeit. Dort gibt August Füßinger uns noch in einem Vortrag seine praktischen Lebensweisheiten mit auf den Weg. Etliche davon wurden schon weiter oben zitiert. Zur Einsegnung kann ich mir vom selbst verdienten Geld meinen ersten schwarzen Konfektionsanzug kaufen, den ich auch 36 Jahre später noch zu besonders feierlichen Anlässen trage.

Nach gut drei Jahren ist es wieder Fiete Jahnke, der sich in mein Schicksal einmischt und mir von sich aus eine Stelle in Soest in Westfalen als Geschäftsführer im Bereich der Inneren Mission vermittelt. Unsere Dienstwohnung im Zentrum Dortmunds bietet keinerlei Spielmöglichkeiten im Freien für unser Kind Jörg. Tochter Almuth ist zu der Zeit unterwegs. Uns fehlt auch ein Kinderzimmer.

Heinrich Schmidt schreibt mir bei meinem Fortgang in mein Zeugnis:

„..... Alle, auch die zusätzlichen, Dienste hat er als selbstverständlich mit großer Zuverlässigkeit und Freudigkeit erledigt. Mit ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein und unermüdlicher Einsatzbereitschaft hat Herr Ruszkowski sich der ihm anvertrauten Personen angenommen. Weit über die Dienstzeit hinaus ging er den Jugendlichen nach, machte bis in den Abend hinein Hausbesuche und bemühte sich unentwegt, jedem seiner Schützlinge individuell gerecht zu werden und zu helfen. Herr Ruszkowski fand schnell guten Kontakt mit den Jugendlichen. Desgleichen war er gewandt im Umgang mit den Eltern und Angehörigen der Betreuten. Herr Ruszkowski legte Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit den kommunalen Ämtern, Schulen und Arbeitgebern, sowie mit den Gemeindepfarrern und Dienststellen der Inneren Mission. Hierbei hatte er stets das Wohl seiner Schützlinge im Auge. Seine schriftlichen Berichte waren klar durchdacht und gut aufgebaut. Wir haben Herrn Ruszkowski nur sehr ungern bei uns ausscheiden gesehen. Mit warmem Herzen und Pflichteifer hat er seine Arbeit getan, die er im bewußt evangelischen Glauben als Dienst am Nächsten verstand. So hat er sich nicht nur als Sozialarbeiter mit guten Fachkenntnissen der Sozialpädagogik um die ihm anvertrauten Jugendlichen selbstlos bemüht, sondern auch im Sinne seines diakonischen Auftrages sich an die Gefährdeten und Gestrauchelten gewiesen gewusst...“

Geschäftsführer bei der Inneren Mission in Soest

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In Soest wird uns eine Dienstwohnung in einem Gemeindehaus am Hohnekirchhof in ruhiger grüner Lage im Stadtzentrum angeboten, leider ohne Zentralheizung, aber wir sind noch unerfahren naiv und meinen, das sei kein Hindernis. Am 1. April 1963 nehme ich meinen Dienst beim Synodalverein für Innere Mission des Kirchenkreises Soest auf. Am 5. April 1963 ziehen wir von Dortmund nach Soest um.

Synodalbeauftragter für Innere Mission im Kirchenkreis Soest und mein Chef ist Pfarrer Günter Mengel, ein erdverwachsener bäuerlicher Typ, mit dem ich trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten recht gut klarkomme. Er ist Gemeindepastor an der Hohnekirche und übt sein Diakonieamt nebenamtlich aus. Mengel hatte sich im Rauhen Haus nach mir erkundigt und erhält von Propst Prehn folgende am 27.12.1961 datierte Beurteilung:

„.... weil wir glauben, daß er für die von Ihnen geschilderten Aufgaben der rechte Mann sei. Trotz seiner Jugend ist er ein sehr gereifter Mensch, der es sowohl im Rauhen Haus als auch in seiner jetzigen Dienststelle verstanden hat, gute Kontakte zu seiner Umwelt zu bekommen. Er ist ein Mann mit einer starken seelsorgerlichen Wärme und Verantwortung für seine Mitmenschen und zugleich auch im Glauben fest gegründet. Wenn er sich entschloss, zunächst in die fürsorgerische Arbeit nach Dortmund zu gehen, so hat das darin seinen Grund, dass er in einem Gemeindepraktikum in Hamburg Erfahrungen gemacht hat, die ihn nicht ermutigten, dort seinen Dienst zu tun. Auch unsere Brüder in Dortmund haben von der inneren Einstellung Bruder Ruszkowskis einen außerordentlich starken und günstigen Eindruck. Vielleicht ziehen Sie noch einmal Erkundigungen bei Bruder Hatje, Dortmund-Hombruch ... ein. In den letzten Jahren hat gerade Bruder Hatje mit Bruder Ruszkowski engeren Kontakt gehabt und wäre noch am besten in der Lage, ein eindeutiges Urteil abzugeben ...“

Paul Hatje antwortet Mengel auf Anfrage am 5.1.1962:

„... Ich kenne Bruder Ruszkowski seit seiner Anstellung als Fürsorger beim Kirchl. Gemeindedienst für Innere Mission in Dortmund. Über die Führung seines Amtes als Fürsorger habe ich nur immer ein gutes Urteil gehört. - Darüber hinaus habe ich ihn als einen sehr nüchternen und charaktervollen Menschen schätzen gelernt. Er hat eine gute diakonische Einstellung und wird sicher auch die Aufgaben eines Volksmissionars in Ihrem Kirchenkreis mit großem Geschick und ganzer Hingabe erfüllen. Ich halte ihn für dieses Amt durchaus geeignet.“

Der Wechsel aus der Industriemetropole Dortmund in das kleinstädtische Soest bekommt uns gut. Soest mit seinem mittelalterlichen Stadtbild war zwar im Kriege stark zerstört gewesen. Man hat es aber in historischer Form wieder aufgebaut und restauriert. Sechs alte romanische oder gotische Innenstadtkirchen, St. Patrokli, St. Petri, St. Pauli, St. Maria zur Wiese, St. Maria zur Höhe (Hohnekirche), St. Thomä und „schiefer Turm“ und drei Kapellen aus graugrünem Sandstein mit kostbaren alten Kunstschätzen, eine in weiten Teilen erhaltene Stadtumwallung mit alten Mauern, „Gräften“, Stadttoren und vielen historischen Fachwerkhäusern prägen die Innenstadt aus der Hansezeit.

Als Geschäftsführer des Synodalvereins für Innere Mission im Kirchenkreis Soest e.V. habe ich die diakonische Arbeit vor Ort zu koordinieren. Der Kirchenkreis Soest umfasst damals noch das Territorium des später abgeteilten Kirchenkreises Arnsberg mit dem Diasporagebiet des Hochsauerlandes bis Dorlar, Medebach, Winterberg südlich von Meschede, Brilon und Marsberg südöstlich, sowie Lippstadt und Geseke im Osten. Die Soester Börde und Lippstadt sind konfessionell gemischt, die übrigen Gebiete überwiegend katholisch geprägt. Ich soll das diakonische Gewissen der Kirchengemeinden aktivieren und den Gemeinden in Fragen der Diakonie beratend zur Seite stehen, etwa im Sammlungswesen, bei Organisationsfragen, bei der Beschaffung staatlicher und kommunaler Zuschüsse. Nebenher habe ich den begonnenen Bau einer Familienferienstätte, des Matthias Claudius-Heimes in Eversberg bei Meschede, weiterzuführen, das Haus einzurichten und die hierfür beantragten Bundes- und Landesmittel abzurechnen. Später vermittele ich Bruder Achim Kirchhefer die Stelle des Heimleiters in Eversberg, die dieser über 30 Jahre lang wahrnimmt. Mit Lichtbildvorträgen zu Themen der Diakonie, Geschlechtererziehung oder Werbung für diakonische Berufe ziehe ich durch Konfirmandengruppen und Schulen.

Vom 25. bis 31.10.1965 führe ich in unserem Matthias Claudius-Heim in Eversberg eine Rüstzeit für Jugendliche durch, die sich für einen sozialen oder diakonischen Beruf interessieren und unternehme mit den Teilnehmern jeweils eine Besichtigungsfahrt nach Nazareth/Bethel und zum Martineum in Vollmarstein.

Ich baue ein Kinderferienhilfswerk auf und schicke mehrere Jahre im Sommer bis zu 880 Mädchen und Jungen nach St. Peter-Ording, Berensch bei Cuxhaven oder auf die Hallig Hooge zur Nordsee, nach Holland und Dänemark oder in die Berge. Mein besonderes Anliegen ist es, nicht nur die Erholung der Kinder im Auge zu haben, sondern die Freizeiten auch in einem bewusst evangelisch-christlichen Geist mit Andachten, Singen und Tischgebet zu gestalten. Dafür werbe ich über 150 ehrenamtliche Mitarbeiter: Freizeitleiter, Gruppenhelfer, Kochmuttis. Sie müssen in Wochenendfreizeiten gründlich geschult werden. Busse sind anzumieten und Fahrpläne aufzustellen. Das erfordert eine generalstabsmäßige Vorbereitung. Zuschüsse sind zu beantragen und abzurechnen, umfangreiche Finanzmittel zu verwalten. Der letzte Jahreshaushalt beläuft sich auf 946.000,- DM. Großeinkäufe an Spielmaterial und Lebensmitteln sind zu planen und durchzuführen. Im Sommer übernehme ich jeweils für drei bis vier Wochen selber die Leitung einer der Freizeiten, so auf der niederländischen Nordseeinsel Ameland, wo wir mit unserer Jungengruppe in einem Kuhstall untergebracht sind, in St. Peter-Böhl in ehemaligen Wehrmachtsbaracken in den Dünen, in einem modernen Jugenderholungsdorf in Berensch bei Cuxhaven, in einem einfachen dänischen Jugendferienheim in Fynshav auf der Insel Alsen direkt am Strand mit Blick über den Lille Belt oder mit 80 Jungen im Fjeldholmhjem im jütländischen Gjerrild nahe Grenaa am Ufer des Skagerak. Daneben organisiere und leite ich Senioren- und Familienerholungsfreizeiten, auch wieder in St. Peter-Ording an der Nordsee. Drei Jahre lang habe ich die Tätigkeit einer Betreuungsstelle für griechische Gastarbeiter zu überwachen. Nebenbei kümmere ich mich um einige Alkoholiker, darunter ein trinkendes Ehepaar, das ich getrennt in Kuren vermitteln kann. Er wird rückfällig, sie fängt sich und wird anschließend eine tüchtige Krankenschwester. Ich habe eine hauptamtliche Buchhalterin, die Kriegerwitwe eines Neinstedter Diakons, Frau Ella Ecke (Nachfolgerin Frau Jäger), zur Hilfe und später eine Sekretärin (Frau Krift) und einen Verwaltungslehrling. Ich selber, der während der Ausbildung von kirchlicher Verwaltung nichts wissen wollte, muss mich nun notgedrungen auch mit Verwaltungsaufgaben befassen und mir die Grundbegriffe der kameralistischen und kaufmännischen Buchhaltung aneignen. Außerdem besuche ich, weil es für meine Stellung als Sozialarbeiter in NRW wichtig ist, nun mit großem Interesse, einen Verwaltunglehrgang für Sozialpädagogen an der staatlichen Verwaltungsschule Soest, in dem mir Kommunalverfassung, Haushalts- und Kassenrecht ect. beigebracht wird. Hier treffe ich den Rauhhäusler Diakon Ulrich Carmesin wieder, der als Sozialarbeiter im Strafvollzug tätig ist. Für die am Lehrgang teilnehmenden katholischen Kolleginnen sind wir als Diakone geistlicher Stand und genießen hohes Ansehen. Das Studium des kommunalen Verwaltungsrechts ist für mich auch für meine diakonische Arbeit in Soest sehr aufschluss- und hilfreich. Einer der Dozenten, ein ehemaliger Stadtdirektor aus Unna, klärt uns auf, die Kommunalpolitiker in Westfalen seien fast alle „Marienkäfer“: entweder rote mit schwarzen Punkten oder schwarze mit roten Punkten. Am 30.5.1964 bestehe ich die Abschlussprüfung mit der Note „gut“ und darf nunmehr laut Laufbahnverordnung des Landes NRW als staatlich anerkannter Wohlfahrtspfleger im gehobenen Dienst der Gemeinden und Gemeindeverbände beschäftigt werden.

Ab 1. November 1964 bis 30. März 1966 nehme ich für eineinhalb Jahre neben meiner Tätigkeit in Soest den Dienst als Fürsorger in Lippstadt wahr und überbrücke in dieser Arbeit eine Vakanz. Auf die Dauer wird mir die Doppelbelastung aber zu viel.

Ich betreue von Soest aus auch eine Patengemeinde in Ostberlin. Mehrfach reise ich mit kleinen Gruppen zu Kontaktbesuchen nach Berlin. Einmal fallen wir bei der Kontrolle an der Sektorengrenze durch unsere mitgeführten Waren auf und ich werde als Leiter der Gruppe stundenlang gefilzt und verhört, was besonders für unsere ostberliner Gastgeber sehr unangenehme Folgen hat und mich daher in große Angst versetzt.

Im Kinderferienhilfswerk macht sich im Sommer 1969 erstmals bei den jugendlichen Helfern der studentische Protest der 68er-Bewegung deutlich. Jahrelang nette Helfer schwimmen plötzlich auf der „antiautoritären“ Modewelle und versauen mir das Klima in meiner Freizeit. - Aus verschiedenen Gründen sehe ich mich nach sechs Jahren nach einer neuen Stelle um.

Der „Soester Anzeiger“ schreibt am 20.9.1969 unter der Überschrift: „Diakonische Hilfe von Dank und Erfolg geprägt

- Jürgen Ruszkowski scheidet von Soest und Synodalverein -

Als Diakon Jürgen Ruszkowski vor sechseinhalb Jahren seinen Dienst beim Synodalverein für Innere Mission Soest/Arnsberg antrat, fand er nur eine reine Verwaltungsstelle vor. Nun, da die Soester Gemeinden von ihm Abschied nehmen müssen, weil er eine neue Aufgabe im Diakonischen Werk der Pfälzischen Landeskirche übernimmt, ist sein Hilfswerk aus Soest nicht mehr fortzudenken. - Zwar hat der Synodalverein als übergemeindliche Zwischeninstanz nach wie vor seinem Auftrag gemäß vornehmlich Verwaltungs- und Koordinierungsaufgaben, doch das Bemühen seines Geschäftsführers um unmittelbare diakonische Hilfe hat trotzdem vielfältige, sichtbare Frucht getragen. - Vor allem um die Erholungsfürsorge hat sich Diakon Ruszkowski verdient gemacht. So war er entscheidend an der von Pfarrer Mengel inspirierten Planung, Einrichtung und Unterhaltung des Matthias-Claudius-Heims im sauerländischen Eversberg beteiligt. Die Werbung für diakonische Berufe, die Nachbarschaftsseminare, eine Einkehrwoche für Eltern behinderter Kinder und der Aufbau des Erholungswerkes sind seiner Initiative zu danken. - Den Erfolg mögen einige Zahlen verdeutlichen. Allein in diesem Jahr konnten 150 Rentner in drei Altenfreizeiten und zwölf Familien mit 67 Personen verschickt werden. Darüber hinaus erlebten 886 Kinder in den vom Synodalverein angemieteten Heimen zwischen Alpen und Kattegat drei unbeschwerte Ferienwochen. Diese fünfzehn Kindererholungsfreizeiten waren nicht denkbar ohne die 150 ehrenamtlichen Helfer (Leiter, Betreuer, Küchenmuttis), die ihn dabei unterstützten, nachdem diese Ferienmaßnahmen 1964 noch mit achtzig Kindern begonnen hatten. - Solch überzeugende karitative Bilanz lässt den Fortgang Jürgen Ruszkowskis bedauern. Den Dank, den er jetzt dem Vorstand, allen Mitarbeitern und treuen Helfern sagt, darf er auch für sich selber beanspruchen; denn sein Abschied hinterlässt eine Lücke, die sehr schwer zu schließen sein wird, zumal gleichzeitig auch Pfarrer Mengel aus gesundheitlichen Gründen das Amt des Synodalvereins-Vorsitzenden an Pfarrer Leweling übertragen musste. - Hinzu kommt, dass es nicht leicht sein wird, einen in der Sozialarbeit und im idealistischen Einsatz gleich erprobten Nachfolger zu finden. An ihm wird es liegen, Ruszkowskis Aufbauwerk fortzusetzen und es um weitere Möglichkeiten der Familienerholung und um Ausweitung der wichtigen Suchtkrankenhilfe zu bereichern. Möge das im Interesse der Stadt und ihrer Bürger gelingen.“

Ich bemühe mich selber um einen Nachfolger aus der Rauhhäusler Brüderschaft, was aber misslingt. Mit dem vom Verein dann ausgesuchten Mann hatte die Soester Diakonie leider großes Pech. Die von mir angesammelten soliden finanziellen Rücklagen verpulvert er in wenigen Monaten, größtenteils durch Unterschlagungen in die eigene Tasche, so dass man sich bald wieder von ihm trennen muss.

In einem Zeugnis über meine Tätigkeit in Soest heißt es u. a.:

„... Herr Ruszkowski hat eine geschickte Art zu formulieren ... und ab und an auch Hauptgottesdienste mit gut vorbereiteten, ansprechenden Predigten gehalten. - Herrn Ruszkowskis besondere Gaben liegen auf dem Gebiet fachlich exakten fürsorgenden Umgangs sowohl mit hilfebedürtigen Menschen als auch mit Mitarbeitern. Er ist von der Diakonie als der praktischen und darum besonders notwendigen Wesensäußerung der Kirche überzeugt und durchdrungen, dabei ausgesprochen fleißig, besonnen, haushälterisch und vorausplanend, selbständig und sehr verantwortlich. Besondere Erwähnung verdienen sein Gerechtigkeitssinn und seine Verschwiegenheit. Er hat ausgeprägte eigene Meinungen und ist in Kontakten fast ein wenig scheu...“


 

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