Bestellungen am einfachsten unter Angabe Ihrer Anschrift direkt beim Webmaster per e-mail
Das Rauhe Haus gilt als „Brunnenstube der Inneren Mission“ und ist die Wiedergeburtsstätte des Diakonenamtes in den Kirchen der Reformation nach über tausendjährigem Dornröschenschlaf während der Kirchengeschichte.
Johann HinrichWichern, geboren am 21. April 1808, hatte angesichts des Kinderelends seiner Zeit das dasRauhe Haus 1833 als junger Kandidat der Theologie mit Hilfe einflussreicher Hamburger Bürger in dem Dorf Horn vor den Toren Hamburgs aus kleinsten Anfängen als „Rettungshaus“ für gefährdete Kinder und Jugendliche gegründet und aufgebaut. Für seine immer umfangreiher werdende pädagogische Arbeit benötigte er schon bald Gehilfen. Aus dem Kreis dieser Gehilfen entwickelte sich später der Beruf des Diakons.
Das Familienprinzip, in dem Wichern seine Schützlinge betreute und erzog, erforderte eine größere Anzahl von Gehilfen.Im Sommer 1834 zog ein Bäckergeselle, namens Josef Baumgärtner, zu Fuß von Basel nach Hamburg, um Wichern als erster Gehilfe für ein mageres Taschengeld von 100 Mark im Jahr bei freier Kost und Logis als Betreuer einer „Knabenfamilie“ zur Hand zu gehen. Nach drei Jahren übernimmt Baumgärtner ein eigenes neu gegründetes Rettungshaus in Mitau im Kurland. 1839 ermächtigte der Verwaltungsrat Wichern, der Ausbildung von Gehilfen im Rauhen Haus "die gröstmögliche Veröffentlichung zu geben". Wichern ließ deshalb von 1843 an über die Gehilfen, schon damals Brüder genannt, eigene Jahresberichte erscheinen. Auf ihre theologische Ausbildung in seinem "Gehilfeninstitut" verwandte er große Sorgfalt. Aus seinen „Gehilfen“, die Wichern aus ganz Deutschland rief und die ihn bei seiner Erziehungsarbeit im Rauhen Haus unterstützten und von den Jungen der Erziehungsfamilien „Brüder“ genannt wurden, baute er den hauptberuflichen Mitarbeiterstab der Inneren Mission auf, die „Berufsarbeiter“, die als Hausväter in „Rettungshäusern“, als Strafvollzugsbetreuer oder als Stadtmissionare in ganz Deutschland und im Ausland bis hin nach Übersee tätig wurden.
Wichern: „Treue, gottesfürchtige Männer, so ernst als wahr, so klug als weise, in der Schrift bewandert, im Glauben gegründet, voll Liebe zum armen Volke, geschickt zu solch einem Umgang, der Menschen fürs Himmelreich gewinnt, wünschen wir in Scharen unter das Volk.“
Erst Jahrzehnte später nannte man diese „Gehilfen“ entgegen Wicherns ursprünglichen Vorstellungen Diakone. Bis in die 1970er Jahre sprach man von der männlichen Diakonie. Daneben gab es den Beruf der Diakonisse. Danach wurden Ausbildung und Beruf im Rahmen der allgemein sich durchsetzenden Emanzipation auch für Frauen geöffnet. Aus der Brüderschaft wurde die Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses. Heute bildet die Fachhochschule des Rauhen Hauses in Hamburg Frauen und Männer zu Diplom-Sozialpädagog(inn)en und Diakon(inn)en aus.
Siegfried Strathmeier
Siegfried Strathmeier wurde am 18.07.1921 in Löhne in Ostwestfalen geboren und verstarb am 13.12.2007 im Alter von 86 Jahren in Löhne. Er wuchs auf einem kleinen, von seinem Onkel bewirtschafteten landwirtschaftlichen Hof auf und wurde geistlich geprägt durch das fromme pietistische Klima des Ravensberger Landes. Sein Vater Karl war Kaufmann und arbeitete in einem Betrieb in Bielefeld. Die Mutter war Krankenschwester, hatte aber auch das Nähen und das in der Region verbreitete Zigarrenwickeln gelernt. Nach einer Lehre im Tischlerhandwerk wurde Siegfried 1940 zunächst zum Reichsarbeitsdienst und dann zum Kriegsdienst eingezogen und kommandierte eine Flak-Batterie. In Frankreich geriet er in Gefangenschaft und wurde nach Amerika, danach nach England verbracht. 1948 kehrte er nach Löhne heim und musste zunächst den Bauernhof des erkrankten Onkels bewirtschaften, weil sein Bruder noch auf einem anderen Hof in der landwirtschaftlichen Lehre war. Danach war Siegfried wieder in seinem Tischlerberuf tätig. Zu seinen Kriegskameraden hatte er bis ins hohe Alter Kontakt. In den kritischen Kriegstagen betete seine Mutter, Gott möge ihn beschützen, wenn er ihn noch für etwas gebrauchen könne. Das war für Siegfried die Motivation, hauptberuflich in den kirchlichen Dienst zu treten. Zunächst war er neben seiner Berufsarbeit als Tischler ehrenamtlich in seiner Kirchengemeinde, im örtlichen Posaunenchor (er blies Waldhorn) und im CVJM tätig. Zwar gab es in Ostwestfalen zwei Diakonenbrüderhäuser, doch entschloss er sich für das Rauhe Haus in Hamburg, wo er am 26.05.1954 zur Ausbildung eintrat.
Siegfried war ein zutiefst frommer und dabei weltoffener realistischer Mann. Er war uns jungen Brüdern während unserer Ausbildung in den 1950er Jahren an Alter und Lebenserfahrung weit voraus, passte sich aber voll in unsere Gemeinschaft ein. Er erzählte uns immer wieder, dass Bruder Niemer ihn gewarnt habe, das Rauhe Haus sei keine fromme Oase, und er werde während der Ausbildung einige Jahre durch eine geistliche Wüste gehen.
Haus Tanne imn Rauhen Haus in Hamburg
Seine Gehilfenzeit im ersten Ausbildungsjahr verbrachte er im Seemannsheim am Wolfgangsweg bei Bruder Otto Brunschede.
Dieser berichtete mir später, Strathmeier sei mit Abstand sein tüchtigster Gehilfe gewesen und er bedaure, das dem Vorsteher des Rauhen Hauses, Pastor Donndorf , gegenüber so offen geäußert zu haben, denn daraufhin habe man Siegfried sofort ins Rauhe Haus zurückgerufen, wo er die Bewährungsfamilie für schwierige Jungen in der Ruine der alten Wichernschule übernehmen musste und seine pädagogischen Fähigkeiten und seine natürliche Autorität einbringen konnte. Die Arbeit der Seemannsmission beobachtete er auch späterhin aufmerksam.
Über einen längeren Zeitraum gehörte es zu Siegfried Strathmeiers Aufgaben, abends um 21 Uhr aus seinem Konvikt im oberen Stockwerk der alten Schule den Nachtchoral und das Nachtwächterlied zu blasen und damit mindestens für das Anstaltsgelände und alle dort lebenden Menschen den Feierabend und die Nachtruhe zu verkünden. Sobald die Töne erklangen, hielt man für einen Augenblick inne und besann sich.
In diesem Haus "Goldener Boden" wohnte der Webmaster mit Siegfried Strathmeier während der Ausbildung zusammen in einem Kellerzimmer
Am 18. März 1958 legten wir das staatliche Wohlfahrtspflegerexamen ab. Siegfried Strathmeier war bei der Bewertung seiner Leistungen durch die Prüfer Spitzenreiter.
Anfang März 1959 bestand er die Diakonen-, die Religionslehrer- und die kirchliche Verwaltungsprüfung.
Siegfried Strathmeier ging sofort nach der Ausbildung zurück in seine ostwestfälische Heimat und trat im Lande des Steinhägers seinen Dienst als Suchtkrankenhelfer (Trinkerfürsorger , so die damalige Terminologie) beim Kirchenkreis Herford an. Hier war er den Alkoholikern ein „adoptierter“ trockener Alkoholiker wie Paulus den Griechen ein Grieche und verzichtete ab dieser Zeit um der Klienten wegen selber auf den Genuss von Alkohol. Als ihm später Leitungsaufgaben anvertraut wurden, behielt er die Hilfe für seine Alkoholiker stets besonders im Auge. Er kämpfte für die Anerkennung des Alkoholismus als Krankheit.
Im Verband Rheinland-Westfalen der Diakone des Rauhen Hauses war Siegfried Strathmeier immer aktiv beteiligt
Siegfried Strathmeier oben in der hinteren Reihe Mitte rechts
Bildmitte: Siegfried Strathmeier um 1959 bei einem Diakonentreffen in Bausenhagen
Am 4.10.1961 wurde er von Propst Prehn in der Hammer Dreifaltigkeitskirche zum Diakon Jesu Christi eingesegnet.
Siegfried heiratete 1962 die aus der Pfalz stammende Pastorentochter Elisabeth Hammel und hatte mit ihr drei Kinder.
Siegfried Strathmeier blieb seinem Heimatkirchenkreis sein Leben lang treu. Man trug ihm später die Stelle des Geschäftsführers für die Innere Mission seines Kirchenkreises an, die er jahrelang wahrnahm, dann wurde er 1972 nach einer Prediger-Zusatzausbildung zum Pastor ordiniert und war hauptamtlicher Synodalbeauftragter der Diakonie des Kirchenkreises Herford, wo er weiterhin jahrzehntelang segensreich wirkte. Als die Innere Mission in Diakonisches Werk umbenannt wurde, war es ihm ein Anliegen, dass der Auftrag Wicherns zur inneren Mission in seinem Wirkungsbereich nicht vernachlässigt wurde. Über den Sozialarbeiter und Sozialmanager hinaus blieb er Diakon und wusste sich von Gott an den hilfesuchenden Nächsten gewiesen.
In einem Nachruf in einer Herforder Lokalzeitung würdigte das Diakonische Werk im Kirchenkreis Herford Siegfried Strathmeiers Wirken:
Er war vom 1. Januar 1987 bis zum 31. Juli 1994 erster Vorsitzender des Vorstandes der Ev. Diakoniestiftung Herford, vormals Ev. Waisenhaus in Herford. Als Vorstandsvorsitzender trug Herr Pastor Strathmeier wesentlich zur Neugestaltung der Ev. Diakoniestiftung Herford bei. Maßgeblich war er an der Errichtung des St. Martins-Stiftes in Spenge sowie an der Verselbständigung der Gottschalk-Weddingen-Werkstätten in Bünde beteiligt.
Mit großem Engagement und Souveränität hat er die Geschicke der Stiftung mitgetragen und mitgestaltet. Er setzte sich stets für die Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ev. Diakoniestiftung Herford ein. Herr Pastor Strathmeier gehörte dem Vorstand seit dem 30. Oktober 1975 an und schied mit Erreichen des Presbyteralters am 17. Juli 1994 aus dem Vorstand aus. Weiterhin begleitete er als Förderer die Ev. Diakoniestiftung Herford. Bis zuletzt war er an der Entwicklung der Stiftung interessiert und hat sich aktiv in das Geschehen eingebracht.
Sein Wunsch und seine Bitte waren, dass die Ev. Diakoniestiftung Herford bei aller Herausforderung stets Anwalt der Schwachen, der Kranken und der Randsiedler in unserer Gesellschaft bleibt.
Der Gedanke der christlichen Nächstenliebe stand für ihn im Vordergrund. Mit einem klaren Blick für die Schwachen hat er den Dienst am Nächsten unaufdringlich und bescheiden praktiziert. Für seine langjährigen Dienste in Kirche und Diakonie wurde ihm das Kronenkreuz in Gold verliehen.
Noch im Ruhestand war er unermüdlich in Gremien von durch ihn gegründeten Einrichtungen tätig und hielt manche Trauerfeier für alte Weggefährten.
v. l. n. r.: Gottfried Wendt - Heinz Löffelmacher , † 2007 - Johannes Gebauer - Siegfried Strathmeier
im Kreise seiner Rauhäusler Diakonen-Brüder
Bis zu seinem 80. Lebensjahr war er rüstig und mit einer guten Gesundheit gesegnet, bis ihm danach gleich Hiob schwere Prüfungen durch Krankheit und körperlichen Verfall auferlegt wurden. Seine Frau Elisabeth und die Töchter haben ihn dabei in aufopfernder Pflege bis zu seinem letzten Tag am 13.12.2007 begleitet.
Siegfried Strathmeier zusammen mit Tochter Maria beim Brüder- und Schwesterntag im Rauhen Haus in Hamburg
An seiner beeindruckenden Verabschiedung am 20.12.2007 in der vollen Martin-Luther-Kirche in Löhne-Ort nahm eine große Trauergemeinde von etwa 200 Personen teil. In einer langen Prozession wurde der Sarg danach zum Familiengrab auf dem Friedhof geleitet, wo der örtliche Posaunenchor in der Tradition des aus Gohfeld (heute ein Teil der Stadt Löhne) stammenden JohannesKuhlo Lieder und Weisen der Ravensberger Erweckungsbewegung blies. Beim anschließenden Beisammensein im Gemeindesaal waren noch etwa 80 Personen anwesend. Weggefährten, Nachfolger und der Konviktmeister der Rauhhäusler würdigten sein Leben und Werk. Rauhhäusler Schwestern und Brüder waren aus Rheinland, Westfalen, Kassel und Hamburg angereist, um sich von Siegfried zu verabschieden.